Hintergrundinfos zur BGW

Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der nachstehenden Informationen und Einschätzungen wird keine Haftung übernommen. Sie ersetzen insbesondere keine rechtliche Beratung!

Im folgenden finden Sie Informationen zur rechtlichen Situation von selbständig tätigen JSJ-Praktiker*innen, die keine Angestellte haben.


Grundlagen für die Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Berufsunfallversicherung (GUV) sind im Siebten Sozialgesetzbuch (SGB VII) und den Satzungen der entsprechenden Versicherungsträger geregelt. Die gesetzlichen Berufsunfallversicherungsträger sind die Berufsgenossenschaften. Es gibt derzeit neun Versicherungsträger mit unterschiedlichen Zuständigkeiten. Zwischen diesen haben die Unternehmer*innen keine Wahlfreiheit, vielmehr ergibt sich die jeweilige Zuständigkeit anhand von gesetzlichen Vorgaben. Für JSJ-Praktiker ist einschlägig zuständig die Berufsgenossenschaft für das Gesundheitswesen und die Wohlfahrtspflege (BGW), wenn nicht ein anderweitiger Unternehmensschwerpunkt vorliegt. Sollte das der Fall sein, leitet die BGW das Unternehmen an den für diesen Schwerpunkt zuständigen Versicherungsträger weiter. 

In der BGW gibt es Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte. Wer als selbständige Unternehmerin oder selb-ständiger Unternehmer pflichtversichert ist, regelt § 2 Absatz 1 Nr. 9 SGB VII, wonach kraft Gesetzes versichert sind alle "Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind." Nicht geregelt ist im Gesetz, wer damit im Einzelnen gemeint ist. Das heißt, dies können die Versicherungsträger zunächst selbst bestimmen, was dann im Falle einer Klage dagegen von den zuständigen Sozialgerichten bestätigt oder verworfen wird bzw. in der Vergangenheit schon ausführlich behandelt worden ist. Es gibt allerdings in § 4 SGB VII eine Regelung dahingehend, dass ein bestimmter, abschließend aufgezählter Personenkreis von dieser Versicherungspflicht befreit ist. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass diese Personengruppen selbst Vorsorge gegen die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten treffen können. Im Zusammenhang mit der Tätigkeit als JSJ-Praktiker*in ist hier nur der Absatz 3 dieser Vorschrift von Belang, wo es heißt: "Von der Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 sind frei selbständig tätige Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Heilpraktiker und Apotheker."

Für diejenigen JSJ-Praktiker*innen, die nicht Ärztin/Arzt oder Heilpraktiker*in sind, lautet die Kernfrage also, ob ihre Tätigkeiten  - also das Strömen und/oder das Geben von Selbsthilfekursen - zum Gesundheitswesen gehören oder nicht. 


Rechtsprechung

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII stets weit aus-gelegt, ausgehend von dessen  Schutzzweck. Der Schutzzweck dieser Vorschrift liegt demnach darin, den Selb-ständigen, die im Bereich des Gesundheitswesen häufig als Kleinstunternehmer tätig sind, Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung zuzubilligen. Darüber hinaus sei aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII der Schluss zu ziehen, dass der Gesetzgeber den Versicherungsschutz möglichst weit fassen und möglichst alle Personen, die in diesem Bereich tätig sind (z. B. auch ehrenamtlich Tätige), in den Schutz der gesetzlichen Unfall-versicherung einbeziehen wollte.
So hatte erst im Jahr 2016 das Landessozialgericht (LSG) Bayern sich mit einem Fall einer "Praxis für energetische  Körperarbeit" zu befassen, die gegen die BGW geklagt hatte. Das LSG wies die Berufung gegen das vorangegangene Urteil des Sozialgerichts Augsburg aus dem Jahr 2013 ab unter anderem mit der Begründung, dass die Arbeit der Klägerin dem Bereich des Gesundheitswesens zuzuordnen sei, weil diese der Gesundheit der Patienten diente, wozu auch die Stärkung der Selbstheilungskräfte gehöre. Es spiele keine Rolle, dass die Klägerin keine Diagnosen stelle und die Behandlung wissenschaftlich nicht anerkannt sei. Es sei auch unerheblich, dass sie keinen Heilberuf ausübe, der erlaubnispflichtig im Sinne des Heilpraktikergesetzes sei. 

Daher gehören nach Auffassung der BGW zum pflichtversicherten Personenkreis alle Selbständigen, die haupt- oder nebenberuflich Behandlungen im Bereich der sog. alternativen Heilmethoden, wie Shiatsu, Reiki, Kinesiologie, traditionelle chinesische Medizin etc. durchführen. 

Inzwischen hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 19.06.2018 (B 2 U 9/2017 R, nachzulesen auf der Serviceseite des Bundesjustizministeriums www.rechtsprechung-im-internet.de) die Revision gegen dieses Urteil des LSG Bayern mit ausführlicher Begründung zurück gewiesen, d.h. die Rechtsauffassung der BGW bestätigt. Hier einige Zitate aus dieser Revisionsentscheidung:

"Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats  ..... fallen unter den Begriff Gesundheitswesen i.S. der GUV .... Tätigkeiten, welche die Beseitigung oder Besserung eines krankhaften Zustandes oder die Pflege eines pflegebedürftigen Menschen bezwecken, ferner diejenigen, die eigens den Zweck haben, die Gesundheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit vor unmittelbar drohenden Gefahren zu schützen, dh einer unmittelbar drohenden oder nach Lage des Falles in absehbarer Zeit zu erwartenden Schädigung der Gesundheit vorzubeugen. Dabei muss es sich aber um ... Tätigkeiten handeln, bei denen die Wahrung der Gesundheit den Hauptzweck bildet; es genügt nicht, dass ein gesundheitsfördernder bzw. krankheitsverhütender Erfolg lediglich als eine zwar praktisch bedeutsame, aber doch nur nebenher erzielte Begleiterscheinung bewirkt wird."

"Unerheblich ist, ob diese Methoden nach dem insbesondere im SGB V normierten Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abrechnungsfähig sind (dazu unter b) . Unerheblich ist für den Schutzbereich der GUV schließlich auch, ob die Klägerin für ihre Tätigkeiten einer Zulassung nach dem Heilpraktikergesetz bedarf (dazu unter c) ."

"Nach der subjektiven Vorstellung der Klägerin sollen sämtliche Methoden - wie das LSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG) - Selbstheilungskräfte des Körpers stimulieren, Traumata auflösen bzw. die geistige und körperliche Gesundheit unterstützen. Damit entspricht es dem erklärten Willen der Klägerin, die Gesundheit ihrer Kunden zu schützen bzw. wiederherzustellen. Die Handlungstendenz der Klägerin ist nach den Feststellungen des LSG auf die Erreichung eines Heilerfolgs ausgerichtet, weshalb sie in einem gegen die Veranlagung und Erhebung von Beiträgen gerichteten Rechtsstreit nicht einwenden kann, sie handele ohne Heilungsabsichten."

"Der Senat trifft damit keine Aussage über die Wirkungsweise oder die objektive Eignung dieser Methoden zur Gesunderhaltung bzw. Heilung. Im Recht der GUV wird wesentlich auf die Handlungstendenz des Versicherten abgestellt, die hier bei der Klägerin unzweifelhaft auf "Heilung" im weiteren Sinne gerichtet ist. An diese Handlungstendenz knüpft das System des SGB VII den Versicherungsschutz und ggf. auch die Beitragspflicht. Dabei geht der Versicherungsschutz der GUV soweit, dass sogar verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt (vgl § 7 Abs. 2 SGB VII) ."

"b) Folglich kommt es für die Frage, ob ein Unternehmen dem Gesundheitswesen i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII zuzurechnen ist, nicht darauf an, ob dieses ärztliche Behandlungen anbietet, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten ausreichend und zweckmäßig bzw. ob diese als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen in dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen nach § 87 SGB V enthalten sind (vgl dazu BSG vom 27.9.2005 - B 1 KR 28/03 R - Juris) . Die Beschränkung auf die ärztliche Kunst sieht § 28 SGB V für den Bereich der GKV vor und ist letztlich Ausfluss des in § 12 Abs. 1 S 1 SGB V verankerten Wirtschaftlichkeitsgebots, das im Sinne eines Übermaßverbots die Grenzen des Behandlungsanspruchs regelt. Diese Beschränkungen des Leistungsrechts im Recht der GKV .... sind nicht übertragbar auf die GUV. Hier beurteilt sich - wie ausgeführt - der Versicherungsschutz für Anbieter von Gesundheitsleistungen nach der Handlungstendenz bei der Vornahme vom Gesetzgeber für schutzbedürftig erachteter Verrichtungen ..., ohne dass es auf eine sonstige, etwa krankenversicherungsrechtliche Zulassung ankommt."

Nun zur Einordnung der Tätigkeit von JSJ-Praktiker*innen:

Auf der Website des Europabüros steht:

"Jin Shin Jyutsu bringt Ausgeglichenheit in das Energiesystem unseres Körpers, fördert dadurch Gesundheit und Wohlbefinden und stärkt die jedem von uns zu eigene, tiefgründige Selbstheilungskraft. Es ist eine wertvolle und bedeutsame Ergänzung zu herkömmlichen Heilmethoden, da es eine tiefe Entspannung bewirkt und die Auswirkungen von Stress vermindert.

Jin Shin Jyutsu arbeitet mit sechsundzwanzig "Sicherheits"-Energieschlössern auf jeder Körperseite innerhalb der Energiebahnen, die Leben in unseren Körper bringen. Werden eine oder mehrere dieser Bahnen blockiert, kann die sich daraus ergebende Stagnation den Energiefluss in der betreffenden Zone unterbrechen und letztlich das gesamte Energieströmungsmuster durcheinanderbringen. Bestimmte Kombinationen der Energieschlösser zu halten, kann uns seelisch, körperlich und geistig wieder ausbalancieren."

Unabhängig davon also, ob man JSJ für eine Heilmethode oder eine Lebenskunst oder Lebensphilosophie oder für alles zusammen hält, scheint der Zusammenhang mit dem Begriff "Gesundheitswesen" doch nicht von der Hand zu weisen zu sein. Das Europabüro empfiehlt allerdings in seiner letzte Mail vom 13.12.2018 den von einem Beitragsbescheid der BGW betroffnen,  Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen. 

Das Telefonat des 1. Vorsitzenden des DFJSJ e.V.  mit der BGW im Januar 2019 hat ergeben, dass die Widersprüche, soweit sie sich gegen die Frage, ob die JSJ-Tätigkeit eine Versicherungs- und damit Beitragspflicht begründet, keine Erfolgsaussicht haben dürften. Auch eine Befreiung von der Beitragspflicht ist in der Satzung der BGW nicht vorgesehen, auch nicht für Geringverdiener. Auch insoweit wird die BGW den Widersprechenden nicht entgegen kommen können. Es ist also damit zu rechnen, dass die Widersprüche abgewiesen werden. Wer sich unsicher ist oder wem es hier um's Prinzip geht (d.h. die Frage gerichtlich klären lassen will, ob nun JSJ in erster Linie der Gesundheit dient oder nicht), der sollte sich Rat bei einem/einer mit der Materie vertrauten Rechtsanwalt/Rechtsanwältin einholen.

Ein paar Ausführungen zum Beitragssystem der BGW:

Die Beiträge werden von der BGW stets für das vorangegangene Jahr erhoben und zwar in der Regel im April/Mai des laufenden Jahres. Das Beitragssystem, das aufgrund gesetzlicher Vorgaben in der Satzung der BGW festgelegt ist, berücksichtigt drei Faktoren: 

- die sog. Versicherungssumme, 

- die sog. Gefahrenklasse und 

- den sog. Beitragsfuß. 

Der Beitragsfuß wird jährlich von der BGW neu festgelegt und richtet sich nach der Höhe der Leistungen, welche die BGW im Vorjahr erbracht hat und für das künftige Jahr erwartet. Die Gefahrenklasse wird in der Regel für je-weils sechs Jahre festgelegt und bestimmt, welchem berufsbedingten Gesundheitsrisiko eine Tätigkeit ausgesetzt ist.  Mehrere Tätigkeiten werden dazu in einer Gefahrengruppe (sog. Gefahrtarifstelle) zusammengefasst. Hinsicht-lich der Versicherungssumme geht die Satzung der BGW von einen Mindest- und einem Höchstbeitrag aus, der für Pflicht- und und freiwillig Versicherte gleich ist. Der Mindestbetrag betrug für 2017 und 2018 22.000 Euro, der Höchstbetrag 84.000 Euro. Ab 2019 liegen diese Summen bei 23.000 Euro bzw. 96.000 Euro. Die Gefahren-gruppen und -klassen wurden ab 2019 wieder für sechs weitere Jahre neu festgelegt. Die alternativen Heil-methoden blieben weiter in der Gefahrengruppe 6, allerdings hat sich die Gefahrenklasse von 3,74 auf 2,41 verringert (zum Vergleich: für Ärzte, Psychotherapeuten und Psychologen bis 2018 bei 2,15 und ab 2019 bei 1,97; für Heilpraktiker bis 2018 noch bei 3,74, ab 2019 bei 4,38!) Dies bedeutet rechnerisch folgendes:

Einer Beispielsberechnung der BGW auf deren Homepage folgend* ergibt sich für alternative Heilmethoden ein Mindestbeitrag in 2018 (für 2017) von  171,97 Euro. Dies gilt dann auch noch für den Beitrag für das Jahr 2018, der erst im April/Mai 2019 erhoben wird. Erst für das Beitragsjahr 2019 wirkt sich die niedrigere Gefahrenklasse aus: Wenn der Beitragsfuß von 2,09 so bliebe,  ist dann im April/Mai 2020 mit einem Beitragsbescheid für 2019 von mindestens 115,85 Euro zu rechnen.

Wie in der Überschrift schon verdeutlicht: diese Berechnungen dienen lediglich der Orientierung und erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit. Die tatsächliche Höhe des jeweiligen Beitrags legt der Beitragsbescheid der BGW fest und dieser kann von den vorstehenden Berechnungen abweichen.  


ACHTUNG!! Rückwirkende Beitragserhebung möglich!

Die BGW kann rückwirkend für 4 Jahre Beiträge nacherheben. Wer also 2018 wahrheitsgemäß angibt, mindestens schon seit 2013 (ununterbrochen) tätig zu sein, wird mit nachträglichen Beitragsforderungen für die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017 zu rechnen haben. Da die Tätigkeiten im Bereich der alternativen Heilmethoden für diese Zeiträume noch einer höheren Gefahrenklasse zugeordnet waren, fallen die Beiträge, wie oben dargestellt, relativ hoch aus und die Summe, die nun auf einmal nur für diese vier Jahre gefordert wird, kann daher rund 850,00 Euro erreichen. Zunächst werden die Beiträge für die Jahre 2013 bis 2017 nachgefordert, der Beitragsbescheid für 2018 kommt erst im April/Mai 2019 und wird voraussichtlich - siehe oben - 171,97 Euro betragen.

Wer allerdings erst 2019 erstmals von der BGW angeschrieben wird, sollte für Beiträge von 2013 nicht mehr herangezogen werden können, es sei denn, er hat die Beiträge der BGW vorsätzlich vorenthalten. Dann gilt eine 30jährige Verjährungsfrist. 

Wichtig: Ob Verjährung eingetreten ist, muss auf jeden Fall im Einzelfall von einem Rechtskundigen (z.B. Rechtsanwalt/Rechtsanwältin) geprüft werden.



*in der Beispielsrechnung geht die BGW von einem Beitragsfuß von 2,09 aus, der für das Beitragsjahr 2017 festgesetzt wurde. Dieser sog. Beitragsfuß wird von der BGW jährlich neu festgelegt und ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Für das Beitragsjahr 2018 wird er erst Ende März/Anfang April 2019 festgesetzt werden.